27. Oktober 2019 um 20.00
im Cafe Anno, Lerchenfelder Str 132, 1080 Wien
“Rubni Predeli Dunava oder: 33 Tage Pančevo ”
Video-Text-Collage mit anschließender kurzer Lesung und Diskussion
Den Mai 2019 durfte ich als Writer-in-Residence in der serbischen Stadt Pančevo verbringen. Die Stadt war während des Habsburgerreiches lange Zeit Grenzstadt. Pančevo ist Teil der Vojvodina und nur ein paar Kilometer von Belgrad entfernt, das auf der anderen Seite der Donau liegt.
27. Oktober 2019 um 20.00
im Cafe Anno, Lerchenfelder Str 132, 1080 Wien
“Rubni Predeli Dunava oder: 33 Tage Pančevo ”
Video-Text-Collage mit anschließender kurzer Lesung und Diskussion
“Wir sind die Pančevo-City-Crowd, du gehörst jetzt zu uns”, sagt J. die es nicht gerne sieht, wenn ich nach Belgrad fahre. S. wiederum möchte, das ich öfters nach Belgrad fahre. Du kannst dich doch nicht immer in Pančevo verstecken, sagt sie
Er zeigt mir ein Bild des größten Schuhs, den er je angefertigt habe. Größe 58, sagt er stolz. Und die Diplomaten, die seien alle bei ihm ein und ausgegangen. Auch die österreichische Botschaft sei ja nicht weit, sagt er. Aber von dort käme schon länger keiner mehr.
Eine offene Bühne für Poetinnen und Poeten, mitten in Dorćol. Wir sind die Treppen hinabgestiegen, Sofija, der Kulturattaché, die junge Universitätsangestellte und ich. Sofija hat die Übersetzung meines Textes für die Lesung in der Unibibliothek ihr Handy geladen, nun trägt sie sich in die Liste ein.
Jetzt muss man sich Belgrad ein bisschen wie Wien vor 20 Jahren, nur ohne U‑Bahn vorstellen. Die Stadt hat 1,34 Millionen Einwohner bei einer Fläche von 360 km². (Zum Vergleich: Wien hat 415 km²).
In Belgrad gibt es Bushaltestellen. Wohin die Busse fahren, erschließt sich mir als Touristin meist nicht. Ich gehe also zu Fuß, lasse mich von Google Maps führen.
Nach er Podiumsdiskussion über Thomas Bernhard esse ich Leskovačka mućkalica und zünde mir eine Zigarette an. Höre V. zu, der uns uns die Geschichte von Ivo Andrićs Sondergenehmigung, das Land zu verlassen, erzählt.
Mein Messenger vibriert.
Es ist bereits nach halb elf. J. fragt, wo ich bleibe.
Nach der Podiumsdiskussion bin ich enttäuscht. Ich erzähle D. von einer lahmen Diskussion, in der es am Ende nur bloß darum gegangen sei, wie der Österreichische Literaturbetrieb aussähe. Also ob ich das wüsste.
V. erklärt mir: Der Name Tamiš stamme vom selben keltischen Wort ab wie die Themse. Wikipedia weiß darüber nichts, aber Wikipedia weiß vielleicht nicht alles.
Die Temesch und die Donau haben im Serbischen ein männliches Geschlecht. Das verwirrt mich jedes Mal.
Iustitia regnorum fundamentum
Die Belgrader führen ihre Hunde durch den Regen spazieren. Meine Füße schwimmen in den Schulen und färben meine Zehen von Neuem rot. Der kleine Bus steht schon da. Ich schüttle meinen Knirps aus und falte ihn zusammen
Die Angestellte hält mir eine Publikation unter die Nase: Schau mal, sagt sie, die Fotos, die du suchst, sind ja bereits veröffentlicht. Wenn du sie abfotografierst und den Titel des Buches angibst, dann brauchst du keine Genehmigung.
In Serbien scheint man sich tatsächlich nicht gut auszukennen mit dem Urheberrecht.
Ein Sicherheitsbeamter nähert sich in schnellen Schritten und fuchtelt mit den Händen. Ich senke die Kamera nicht, denn das würde bedeuten, dass ich mir meiner Schuld bewusst bin. Der Uniformierte fordert mich auf, die Bilder zu löschen. Als ich nach dem Warum frage, hebt er die Schultern. Sein Englisch sei nicht so gut, entschuldigt er sich.
Sonntag. Endlich ist es wieder sonnig. D. und ich treffen einander am Fluss, wir haben es nicht, wie ursprünglich vorgehabt, auf den Flohmarkt geschafft, zu spät ist es letzte Nacht geworden, als wir das Geschirr abwuschen hatte draußen bereits die Dämmerung eingesetzt.
D. sagt später, als wir alle in seinem Appartement zusammenkommen: Wenn es regnet, schwemmt es den ganzen Dreck aus Rumänien an. Einmal sei sogar eine tote Kuh vorbei geschwommen.
Ich wate durch den Schlamm, von unten greift etwas nach mir, zerrt an meinem Schuh. Ich bückte mich, entreiße dem Monster das Rot, laufe barfuß weiter. Die Sonne verbrennt mir das Gesicht (endlich!), die Gelsen surren mir in den Ohren, fliegen mir ins Hirn.
Und wieder empfängt mich Belgrad mit Regen.
S. führt mich in die alten serbischen Restaurants und Kaffeehäuser –die Stadt wie ein Klischee von Wien.
An den Hauswänden Photos alter deutscher Schulklassen, irgendwo in Dorćol, auf dem Weg zur Universität.
Der Rothaarige stellt sich als irischer Filmemacher heraus, der sich in Pančevo vor dem Leben versteckt. In Pančevo lasse es sich gut verstecken, sagt D. Und trinken, sagt der Ire.
Du schickst mir Fotos, die Fensterrahmen unserer neuen Wohnung sind verwittert, der Rahmen im Wohnzimmer gar morsch, dass man ihn wird austauschen müssen.
Tags darauf, irgendwo zwischen Park, Bus und österr. Botschaft schreibe ich an die Hausverwaltung, dann stülpe ich mir die Regenpelerine über den Kopf, damit das Objektiv meines Fotoapparats nicht nass wird.
Fahrt nach Belgrad, um mich in der Österreichischen Botschaft mit dem Kulturattaché zu treffen. Seit dem Debütfestival in Kiel denke ich bei den Wort immer an Ulklieder auf Französisch mit Ukulelenmusik.
Der Kulturattaché hier heißt Johannes und scheint keine Ukulele zu besitzen.
Mein erstes Date führt mich in ein Bierlokal. Dabei sind weder J. noch ich Biertrinkerinnen, wir bevorzugen beide Wein (J. noch viel strikter als ich, wie sich herausstellen wird.)
Das W‑Lan arbeitet, der Warmwasserboiler auch, selbst die Sonne scheint.
Du wirst den Frühling in Pančevo genießen, meinte M., als wir meine Reise ans ehemalige Ende der Donaumonarchie besprachen.
Seit meiner Ankunft hat es durchgeschüttet. Im Appartement ist es kalt, trotz abgedrehter Heizkörper. Ich sitze in eine Decke eingehüllt am Schreibtisch und versuche, ein sms in serbischer Sprache an meine Vermieterin zu schreiben.
Dass der Hitler nicht so schlecht gewesen sei, sagt er. Dass der, wenn es ihn heute noch gäbe, nicht alle hereinlassen würde. Dass der ganz anders umgegangen sei mit den Migranten als wir heute. Dass wir in Österreich jetzt endlich eine gute Regierung hätten. Eine bessere als zuvor.