2015, Dezember. Die Wohnung meines Vaters befindet sich in einem der berüchtigtsten Wohnblocks Wiens. Adresse: Rennbahnweg 27. Plattenbau an Plattenbau, 59 Stiegen, 2.400 Wohnungen samt eigener Polizeiwache. Die U1 nach »Transdanubien« war mein persönlicher Zug nach Hogwarts, damals, als mein Vater mich nicht mehr mit dem Auto abholte, als ich mit dem 44er runter zum Schottentor fuhr und dann weiter: U2, U4, U1. Beim Donauzentrum begann eine andere Welt. Muskeln und Tätowierungen, männlich-coole Sprüche, Bierdosen und weiße Turnschuhe. Das alles kannte ich nicht. Ich war Schülerin im Cottageviertel, kannte schmalbrüstige Buben mit guten Manieren, wir Mädchen trugen Perlenohrstecker und Pumps, und wenn wir das Spiel nicht mehr mitspielen wollten, wechselten wir zu Doc Martens, hörten »Nirwana« und »Die Ärzte« und machten einen auf Grunge.
Kategorie: Texte
Platz 2 beim Servus Krimi-Wettbewerb
Mein Kurzkrimi-Beitrag mit dem Titel “Schlafe, mein Prinzchen” konnte Platz 2 ergattern. Im Herbst soll eine Anthologie erscheinen.
Judenburger Notiz #32
“Die Kraft ballt sich im Murtal, denn kräftig sind sie, die steirIschen Arbeiter. Gemeinsam ist der Aichfelder stark, und erst die Industrie macht das Murtal ganz. Deswegen steht auch der Vater hier und schleudert die Stimme dem Redner entgegen.”
Mein Text “Die geballte Kraft” bzw. Judenburger Notiz #32 ist nun auch in der neuen Ausgabe der Literaturzeitschrift “Driesch” zu lesen.
Judenburger Notiz #2
Railjet 731 von Wien Meidling nach Villach Hbf
Unzählige Fahrten. Wiederholung. Starrst hinaus, die Augen halb offen, den Ellenbogen am Fenster, Kopf in derHandfläche. Wenn die Schneefelder langsam länger – aus dem BRAUNweiß ein braunWEISS wird. Du nach hintengedrückt in den Sitz. Barriere, Alpenbeginn. Dort, wo Heimat anfängt.
Noch wird der Wald unterbrochen. Langgestreckte Betonbauten. Flach. Graffitis.
Arcolas Katze
“Er stand neben der Katze, über der Katze, sah auf sie hinunter, auf ihre Hinterbeine, die sie leicht gespreizt hatte, das angehobene Hinterteil, die artig nebeneinander gestellten Vorderpfoten, die Ohren, die sie zur Seite gerichtet hatte und auf ihre Augen, die starr geradeaus blickten.”
– erschienen in der Literaturzeitschrift Reibeisen
Artners Kreation (Kurzkrimi)
Als sie den Artner finden, mit dem ganzen Matsch in Mund und Nase, und noch mehr Matsch auf Pulli und Hose, wird dem Kommissar der Göllersdorfer Polizei ziemlich übel. Sagen wir es einmal so: Es ist sein erster Toter.
Schade eigentlich, denkt er, als er sich nach einem Stamperl Obstler vom ersten Schock erholt, die Blutwurst vom Artner war die beste im ganzen Hollabrunner Umkreis.
Die Sonntage des T.O.D. Wurst
“Thomas Otto Domenica Wurst trat unter dem Torbogens seiner Wohnhausanlage hervor. Er wollte Zeitungen holen, fladern, stibitzen, klauen. Fühlte sich dabei als Lausbub, und das mit seinen 56.”
– erschienen in DUM – Das Ultimative Magazin
Der Heimkehrer
“Dass das nicht möglich sei, dass er doch nicht einfach so zurückkommen könne, so mir nichts, dir nichts, nach so vielen Jahren, wie ein von der Gefangenschaft Heimgekehrter. Und überhaupt, jetzt, wo sie doch gerade alles verkauft habe, das Haus und die Felder. Die Großmutter schüttelte den Kopf, immer wieder, nein-nein-nein, von links nach rechts und wieder zurück, nein-nein-nein, biss mit dem Unterkiefer fest auf den Oberkiefer, nein-nein-nein und nochmals nein, er solle wieder dorthin zurück, wo er hergekommen sei, sie könne ihn hier nicht mehr brauchen.”
– erschienen in “Die Rampe”
Anthologie “Existenz und Renitenz”
Milchig weiß lehnt sich der Novembernebel gegen die Fensterscheiben und konserviert Gedanken zwischen Stahlbetonwänden. Alles friert ein und steht still. Gery sitzt am Sofa, die Heizung im Rücken auf die höchste Stufe gedreht, und beugt sich über den niedrigen Sofatisch. Mit einer rosa Bipa Bonuscard teilt er das weiße Pulver in zwei Linien, daneben leuchtet der Bildschirm des Laptops.
Anthologie “unten”
Jetzt tut sich unten im Garten etwas. Leonie muss vorhin hinausgekommen sein, ich habe sie gar nicht gleich gesehen. Die arme Leonie, denke ich, so ein schöner Garten und dann ist sie das einzige Kind hier. Warum nimmt sie keine Freundinnen mit? Hat sie keine, oder ist sie eine Einzelgängerin? Sowas soll es ja geben, Kinder, die lieber alleine spielen, die sich unter Gleichaltrigen unwohl fühlen, fast schon bedroht. Meine Kusine war so ein Kind, heute ist sie anders, aber damals war sie immer allein, hat uns weggeschickt, und wenn ich heute mit ihr darüber spreche, sagt sie: Ihr habt mich gelangweilt mit euren blöden Spielen.
Ich sehe Leonie zu, wie sie in die Hocke geht und den Kopf hinunter beugt, ihre Haare hängen ihr ins Gesicht und streifen die Grashalme. Sie hält den Blick auf etwas am Boden gerichtet, vielleicht eine Kolonie Ameisen oder einen Käfer.