social dise­a­se

Da mache ich nicht mehr mit, das geht zu weit, das ist doch krank!, schreist du. Ich las­se die Hand­schel­len zuschnap­pen. Du stram­pelst mit den Bei­nen wie ein klei­nes Kind bei der Zecken­imp­fung. Jetzt wirst du ein­mal mir zuhö­ren, sage ich. Mei­ne Stim­me ist ruhig. Mei­ne Hän­de sind es auch. Ich fin­ge­re mit der lin­ken Hand eine Ziga­ret­te aus der Packung und zün­de sie mir an. Mit der rech­ten streich­le ich dei­ne Fuß­soh­le. Mein Taschen­mes­ser ist spitz.

lie­be kön­nen gehor­chen. sie gehor­chen gebor­gen und selt­sam. sie enden grau­sam und fett.

Zu viel geges­sen heu­te. Mei­ne Bauch­de­cke spannt. Aber nein, es ist ja nicht die Bauch­de­cke, die Gedär­me müs­sen es sein. Knapp vor dem Plat­zen. Tief­kühl­piz­za. Maril­len­knö­del. Gegen das Völ­le­ge­fühl zwei Packun­gen Ziga­ret­ten. Gegen das Krat­zen im Hals Scho­ko­mousse, die gro­ße schwar­ze Schale.Du hast  nicht ange­ru­fen. Kei­ne Ahnung, war­um ich  dar­auf war­te. Jetzt ist es bald einen Monat her, dass wir gefickt haben. Und noch immer war­te ich auf einen Anruf von dir. Mir ist schlecht. Ich könn­te jetzt aufs Klo ren­nen und mir den Fin­ger in den Mund ste­cken. Ganz weit nach hin­ten. Aber mir hat schon immer vorm Kot­zen gegraust. Also  lie­ber noch eine Ziga­ret­te. 

lie­be aus­hal­tet geheu­res. geheu­ert und irri­tiert. oh lie­be.

Gib mir Rücken­de­ckung, sagst du und greifst nach hin­ten. Holst dir mei­nen lin­ken Arm und wickelst ihn um dei­ne Rip­pen. Das brauchst du zum Ein­schla­fen sagst du. Du brauchst beim Ein­schla­fen immer jeman­den der dich hält. Wer war es ges­tern? Wer wird es mor­gen sein? Irgend­je­mand fin­det sich immer. Vor­her gehst du nicht schla­fen. Und wenn du die gan­ze Nacht wach bleibst, in irgend­ei­nem Lokal oder einer Spiel­hal­le. Ich wür­de dich jede Nacht hal­ten, aber das lässt du nicht zu. Du willst nie­man­dem zu nahe kom­men. Das wäre nicht gut, sagst du, wenn sich jemand in mich ver­liebt. Also umar­me ich dich auch die­se Nacht. Ich kral­le mei­ne stump­fen Fin­ger­nä­gel in dei­nen Bauch und ver­su­che, nichts zu emp­fin­den. Ich kann das gut. Mir macht das nichts aus, ich bin dar­in geschult, für ande­re da zu sein. Mein Arm auf dei­nem Bauch, mei­ne Vor­der­sei­te gegen dei­ne Wir­bel­säu­le gepresst. Der Druck gera­de so fest, dass er Sicher­heit gibt. Kein auf­dring­li­cher Druck. Ich weiß, wie das geht.  Mach dir um mich Sor­gen. Ich bin dar­an gewöhnt.

vater mei­nes kin­des mein irr­sin­ni­ges band lächelst oh dümm­li­ches glück du

Ich gehe da nicht mehr hin. Nie wie­der geh ich hin. Müll, Müll! Das ist alles Müll!, schreist du und schiebst alles in den gro­ßen schwar­zen Sack. Die Faxe, die Brief­ent­wür­fe, das Memo. Müll!, schreist du und lässt Papier rascheln. Du wirfst alles hin­ein. Den Locher, die Klam­mer­ma­schi­ne, die Stif­te. Die Füll­fe­der habe ich von dir bekom­men. Als du noch regel­mä­ßig in unse­re Woh­nung kamst.Du schiebst mei­nen Rock hoch, die Strumpf­ho­se hin­un­ter.  Mei­nen Slip zur Sei­te. Tät­schelst mei­nen Hin­tern. Du, du bist nicht Müll, sagt du. Der Reiß­ver­schluss dei­ner Hose. Ein sur­ren­des Geräusch, wie von einem hoch­ge­fah­re­nen Com­pu­ter. Mei­ne Hüf­ten gegen die Tisch­kan­te. Dei­ne Hand gegen mei­nen Kehl­kopf gepresst. Mor­gen wer­de ich nicht mehr kom­men. Es gibt ja noch Arbeits­lo­sen­geld. Das AMS. Und als Mut­ter, da bekommt man Unter­stüt­zung. Wir wer­den es schon schaf­fen. Irgend­wie. Ande­re tun es ja auch. Ande­re Kin­der haben auch kei­ne Mar­ken­kla­mot­ten. Du, du bist nicht Müll, sagst du, noch­mals. Wir sind bei­de nicht Müll. Auch wenn es sich so anfühlt.

die kin­der wie auch immer sie rin­gen auf­ge­bläht sie rin­gen um
lie­be sieh nur welch schmel­zen­des scher­zen

Du bekommst doch Geld, was willst du mehr? Hör auf zu bet­teln, sagst du.Du hast dei­ne Lei­bes­frucht als Geschenk in mich hin­ein ver­pflanzt. Dei­ne Lei­bes­frucht ist jetzt vier­zehn Jah­re alt. Dei­ne Lei­bes­frucht stiehlt und sticht zu. Boxt sich durchs Leben. Holt sich zurück, was du ihm ver­wehrt hast. Ich gebe dir doch Geld, wo ist das denn? Dei­ne Stim­me am Tele­fon. Du willst nicht ver­ste­hen. Wo ist das Geld? War­um stiehlt der Jun­ge? Schei­ße, wozu geb ich dir das gan­ze Geld?Dass man immer den Vätern die Schuld gebe, sagst du. Mensch, ande­re wach­sen doch auch ohne Vater auf. An mir kann es nicht lie­gen, sagst du. Mei­ne Erzie­hung ist es nicht, die den Jun­gen ver­dor­ben hat. Ich bin ja nie da.Du fin­dest das lus­tig. Dei­ne Mund­win­kel  die eines Clowns. Ich sehe sie. Das Grin­sen, das hat er von dir. Nur dass ich nicht dar­über lachen kann. Nicht mehr. Euer süßes Lächeln macht mich kaputt.

mut­ter  ver­kalk­tes ding du mei­ne apar­te stun­de im bad zwi­schen future und past  ergötz­li­che dumm­heit zwi­schen bet­ten und wän­den

Die Groß­mutter ist grö­ßer als die Mut­ter. Sagt ja schon der Name. Des­we­gen ist sie auch so schwer, trotz der porö­sen Kno­chen. So hilf halt ein Wen­gerl mit, sagt mei­ne Mut­ter, wenn sie mei­ner Groß­mutter die Win­deln wech­selt. Der Vater arbei­tet am Feld und kann sich nicht um die Win­deln der Groß­mutter küm­mern. Der Vater­bru­der wohnt im Nach­bar­dorf und fährt um fünf in der Früh zur Arbeit nach Wien. Am Wochen­en­de braucht er sei­nen Schlaf. Die Vater­schwes­ter arbei­tet beim Bür­ger­meis­ter als Sekre­tä­rin. Bür­ger­meis­ter­se­kre­tä­rin­nen brau­chen gepfleg­te Fin­ger­nä­gel und kön­nen unmög­lich die Schei­ße der Mut­ter weg­ma­chen. Ich mach das nicht mehr lan­ge mit, sagt mei­ne Mut­ter. Sie sagt es seit andert­halb Jah­ren. Wäh­rend sie die Kühe melkt, greift die Groß­mutter in ihre Win­del und beschmiert die Wän­de des klei­nen Zim­mers mit Kot. Seit einem hal­ben Jahr gibt es im Groß­mutter­zim­mer abwasch­ba­re Tape­ten. Die begin­nen sich bereits auf­zu­lö­sen, so viel schrubbt mei­ne Mut­ter. Ich mach das nicht mehr lan­ge mit, sagt sie, auch an die­sem Abend. Wir sit­zen beim Küchen­tisch. Der Vater schnei­det eine Stück Speck her­un­ter und schiebt es  in den Mund. Die Mama kommt in kein Heim, sagt er. Mei­ne Mut­ter geht zur Abwasch und spült die Tel­ler. Dann wisch doch du ihr den Hin­tern aus, sagt sie. Oder dei­ne fei­ne Schwes­ter. Und sieht dabei mich an.

auch du mut­ter sei hart dein ewi­ger wahn­sinn schrumpft die her­zen

Du schaust mich an. Aus dei­nen was­ser­blau­en Augen schaust du mich an und grinst mir ins Gesicht. Mei­ne Hilf­lo­sig­keit berührt dich nicht. Du bist anders, als ich es war. Viel­leicht ist dein Grin­sen bes­ser als mein Mit­leid es für mich gewe­sen ist. Was soll ich noch tun? Alle erwar­ten etwas von mir. Was tut eine Mut­ter, wenn ihr Kind ent­gleist. Die Schie­nen ver­lässt. Den vor­ge­fer­tig­ten Weg nicht beach­tet, son­dern ein­fach zur Sei­te springt. Ich wer­de gar nichts tun. Ich wer­de war­ten und hof­fen, dass es von selbst vor­über geht. Obwohl ich weiß, dass man so etwas nicht ein­fach aus­sit­zen kann. Man kann nicht ein­fach dasit­zen, wenn dein  Kind so was tut. Alle Welt hört zu, wenn dich dein  Kind   Huren­sau schimpft. Und alle Welt sieht zu, wenn der Namen dei­nes Kin­des in den Zei­tun­gen steht. Alle Welt ist dabei und rich­tet. Aber was wür­de alle Welt an mei­ner Stel­le tun?

es los­las­set die mut­tern­de hand  die göt­ter blei­ben fern.

Ein­fach die Brem­se los­las­sen. Los­rol­len, in die Peda­le tre­ten, mit­ten hin­ein. ZSe­kun­den, zwan­zig Sekun­den, drei­ßig Sekun­den. Fünf­und­vier­zig Sekun­den. Die Brem­se fest ange­zo­gen, das lin­ke Bein aus­ge­streckt, die Zehen  mit dem Boden verankert.Der Wunsch, ein­fach los zu las­sen. Sich ganz lang­sam  auf die Fahr­bahn rol­len las­sen. Mit einem Grin­sen im Gesicht.Dann wäre man nicht mehr hin­ter mir her. Nie­mand wäre hin­ter mir her. Die Män­ner nicht, die Kin­der nicht, die Mut­ter nicht. Auch die Groß­mutter nicht, mit ihrer Demenz. Und doch blei­be ich ste­hen. Die Zehen in den Schu­hen fest gegen die Naht gepresst. Boden­kon­takt. Der Rest ist Phan­ta­sie. Das Knir­schen der Kno­chen. Das Her­bei­ei­len der Leu­te.  Die unend­li­che Lang­sam­keit.  Kei­ne Hek­tik. Nicht heu­te. Kein Wol­len­müs­sen, kei­ne Ver­ant­wor­tung. Nicht ein­mal für das eige­ne Leben. Um das dür­fen sich heu­te die ande­ren küm­mern. Die Män­ner,  die Mut­ter und die Groß­mutter. Die Kinder.Einfach dalie­gen und nicht mehr auf­ste­hen. 

©MK, 2010; ver­öf­fent­licht in WIEN­ZEI­LE

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